Redebeiträge und Aktionen zum 1. Mai 2020

30.04.2020, Leopoldplatz: Zweisprachig grüßen Nachbar*innen die Kundgebung am Leopoldplatz – „Lang lebe der 1. Mai“ und „Lasst die Reichen zahlen!“ Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

In verschiedenen Kiezkommunen fanden im Zuge des 1. Mai 2020 Aktionen statt. Wir veröffentlichen hier nachfolgend Bilder, Videos und Redebeiträge aus Berlin Wedding, Neukölln und Friedrichshain.

 

 

 

Berlin Wedding

Redebeitrag zur Kundgebung „Die Reichen sollen zahlen“ am 30.04. auf dem Leopoldplatz.

Transparent der Frauen*kommune Wedding auf der Kundgebung „Die Reichen sollen Zahlen“ am 30.4.2020 auf dem Leopoldplatz.

Dieses Jahr sollen 20 Leute ausreichen um unseren Protest hier auf der Straße sichtbar zu machen. 20 statt mehrere Tausend wie die Jahre zuvor. Welch ein großzügiges Zugeständnis der herrschenden Politik. Mit der selben Großzügigkeit wird derzeit überall geworben. 1500 Euro für Pflegekräfte und möglicherweise auch andere systemrelevante Berufe wie Verkäufer*innen.

20 Protestierende seien am Rand des Zumutbaren sagen Sie, während bei Lidl und Penny hier im Kiez täglich hunderte dicht gedrängt an der Kasse stehen, Schüler*innen wieder in schlecht gelüftete Klassenräume gequetscht werden und die Leute sich morgens und abends in die vollen U-bahnen quetschen sollen.

1500 Euro als Dank für die unverantwortliche Ausweitung der Arbeitszeitregelungen, für das Arbeiten ohne Schutzausrüstung und ein strikteres Kontaktverbot mit Familie und Freunden.

Wir können nicht darauf vertrauen das Politiker*innen, die solche wertlosen Versprechungen von sich geben, uns nach der Pandemie helfen werden unsere Miete zu bezahlen, ein Einkommen zu haben und uns vor patriarchaler Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus zu schützen. Auch viele derjenigen, die sich Linke, Grüne und Sozialdemokrat*innen haben uns viel zu oft enttäuscht.

Hier im Wedding, wie auch in vielen anderen Nachbarschaften, gibt es seit vielen Jahren aber unabhängig organisierte Initiativen und linke Gruppen, die etwas neues versuchen. Die jüngsten Erfolge sind mit der Eröffnung mehrerer Sozialer Zentren, wie dem Kiezhaus Agnes Reinhold oder unserem eigenen Zentrum Kommune65, sichtbar geworden. Wir sehen uns mit der Kiezkommune und der Frauenkommune Wedding als Teil dieses Netzwerks von unabhängigen Nachbarschaftsinitiativen kämpfen gemeinsam für ein solidarisches Miteinander. Wir erarbeiten gemeinschaftliche Lösungen für die Probleme im Kiez und unterstützen uns gegenseitig in dieser kapitalistischen Krise. Gemeinsam können wir es schaffen den Menschen vor die Profiten einiger weniger zu stellen!

Kiezkommunen aufbauen – im Wedding und anderswo!

Aktion: Rote Tücher für den 1. Mai im Rahmen der Kampagne #NichtaufunseremRücken

 

Berlin Neukölln

Politischer Stadtteilspaziergang zum 1. Mai gemeinsam mit dem Friedel54-Kollektiv.

Transparent in Berlin-Neukölln fordert Solidarität statt Isolation.

Liebe Nachbarinnen und Nachbarn, heute ist der 1. Mai – für uns ein wichtiger Anlass, um für unsere Rechte und ein besseres Leben für alle auf die Straße zu gehen. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der der neuartige Coronavirus viele von uns verunsichert. Dabei geht es nicht nur um unsere Gesundheit, auch unsere Arbeitsplätze sind in Gefahr. Denn wir leben leider in einer Gesellschaft, in der es nicht um das Wohl aller Menschen geht, sondern vor allem um die Profite von wenigen. Deswegen wurde in den vergangenen Jahren im Gesundheitsbereich gekürzt, deswegen müssen Verkäufer*innen, Bauarbeiter*in und viele andere weiterhin für einen niedrigen Lohn arbeiten, während Schutzmaßnahmen nicht eingehalten werden.

In den letzten Wochen ist viel passiert. Viele Rechte wurden uns genommen: ob auf der Arbeit oder im öffentlichen Leben. Früher wurde uns gesagt, es sei kein Geld vorhanden. Kein Geld für bessere Schulen, bessere Krankenhäuser oder höhere Löhne. Auf einmal waren aber Milliarden von Euros da, doch nicht für uns, sondern für Unternehmen. Wir bekommen davon nichts, wir müssen uns weiterhin darüber den Kopf zerbrechen, wie wir und unsere Familie über die Runden kommen und unsere Wohnung bezahlen können.

Gleichzeitig können wir uns nur eingeschränkt mit unseren Freundinnen und Freunden treffen. Werden von den Bullen belästigt, wenn wir im Park sitzen. Für viele ältere Menschen droht, dass sie ganz vereinsamen. Kinder müssen zu Hause bleiben, ohne dass sie Kontakt zu anderen Kindern haben. In der Wohnung sind es die Frauen, die nun noch mehr Hausarbeit machen müssen. Und auch die Gewalt gegen sie nimmt hinter den verschlossenen Türen zu.

Es scheint, der schlechte Zustand der Zeit vor Corona wird jetzt noch schlechter: Mehr arbeiten, für weniger Lohn; wenn man überhaupt noch Arbeit hat. Mehr Angst um die Zukunft, um die Menschen um ein herum. Doch so muss es nicht sein. Denn vieles lässt sich gemeinsam ändern. Dafür steht der 1. Mai – als ein Kampftag gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Hier im Kiez können wir anfangen, für ein besseres Leben zu streiten: Wir können der Vereinzelung unsere gemeinsame Kraft entgegensetzen. Gemeinsam können wir unsere Belange selbst in die Hand nehmen, uns organisieren gegen Rassismus und Patriarchat. Lasst uns für bessere Arbeitsbedingungen, für günstige Wohnungen und für einen Kiez kämpfen, in dem nicht das Profitinteresse von Wenigen und die Politiker das Sagen haben, sondern wir selbst entscheiden, was wichtig für uns ist.

Wir haben uns deswegen in der Kiezkommune zusammengeschlossen. Wir sind für alle offen – egal wie du heißt, woher du kommst, welches Geschlecht du hast oder wie du aussiehst. Wir sind offen für alle, die gemeinsam mit uns hier in Neukölln damit anfangen wollen, eine solidarische Gesellschaft aufzubauen.

Kommt in die Kiezkommune! Für ein rebellisches Neukölln – für solidarische Nachbarschaften!

Weitere Infos findet ihr auf unserem Telegram-Kanal: https://t.me/kiezkommune44.

 

Berlin-Friedrichshain

Redebeitrag zum 1. Mai 2020

Der erste Mai, internationaler Kampftag der Arbeiter*innenklasse, ist für uns wichtig. Wir, die Kiezkommune Friedrichshain, begreifen ihn als Teil unserer Tradition und alljährliches, weltweites Zeichen der Stärke und Solidarität fortschrittlicher, sozialistischer Bewegungen weltweit. Von den Massendemonstrationen und Fahnenmeeren in Cuba und Venezuela, zu den beeindruckenden Demos in Frankreich, Griechenland, Italien und der Türkei

bis zu den kämpferischen Protestzügen überall in der Republik. Der erste Mai ist ein Tag der großen Symbole, der Massendemonstrationen, ein Tag der Erinnerung an die, die vor uns kamen und ein Tag des Vorausschauens für das, was wir zu erreichen hoffen.
Doch dieses Jahr werden die Massenaufmärsche ausbleiben, es wird keine Fahnenmeere geben, am Istanbuler Taksimplatz wird nur symbolisch demonstriert und auch bei uns wird es keine Menschenmassen geben. Der erste Mai wird dieses Jahr kein Tag der großen Symbole, sondern ein Tag der kleinen Dinge. Da wir uns aus Verantwortung füreinander nirgendwo versammeln können, müssen wir andere Wege finden, um kämpferisch zu sein. Am ersten Mai und darüber hinaus.

Wir müssen denen helfen, denen keine milliardenschweren Hilfspakete von Vater Staat in den Rachen geworfen werden. Denen, die auch ohne Corona-Krise grundsätzlich hintenrunter fallen und von der Gesellschaft höchstens abschätzig betrachtet werden. Es gilt, dort in die Bresche zu springen, wo der Staat Schwäche zeigt und ihm so Stück für Stück seine Macht zu entreißen.

Es sind wir, die Arbeiter*innen, Student*innen und Schüler*innen, die in dieser Zeit besonderes Leisten. Wir, die Pflegekräfte und Kassierer*innen, die Lagerarbeiter*innen bei Versandhändlern und in Logistikcentern. Wir sind die Fahrer*innen für Transportunternehmen, ohne die die ganze Welt stillstehen würde und das nicht nur in der Krise. Wir sind es, die plötzlich „systemrelevant“ genannt werden, wenn die Bonzen sich vorm krepieren fürchten und wir sind es auch, die sich nach und nach ihrer eigenen Stärke bewusst werden.

Denn wir halten den Laden nicht nur an den Supermarktkassen und in den Klinken am laufen. Wir versorgen nebenbei noch unsere Verwandten, die selber zu gefährdet sind, um einkaufen gehen. Wir nähen einfache Stoffmasken für die Nachbarschaft und halten den Kontakt zu denen, die sich als „Risikogruppe“ nicht mehr vor die Tür trauen, die für sie keine Privatklinik bereitsteht, sollten sie sich mit dem Virus anstecken. Wir sind die Soloselbstständigen, die zur Zeit nicht arbeiten dürfen und trotz Sorge um die eigene Existenz Tüten mit Hygene – und Nahrungsmitteln für Obdachlose packen und verteilen. Wir sind die Eltern, die ihren Kindern neben Homeoffice und Homeschooling erklären, dass irgendwann alles wieder normal und gut und „so wie früher“ wird, in der Hoffnung, damit vollkommen im Unrecht zu sein.

Denn was heißt schon „normal“ und „gut“ und „so wie früher“. Es heißt zurückzukehren in die Welt von Ausbeutung und Unterdrückung, von tödlichen Grenzen, verbrecherischen Waffenexporten, von Kriegstreiberei. Es bedeutet die Rückkehr zu der Normalität, die völlig selbstverständlich den Sozialstaat abbaut, die grundsätzlich Profite vor Menschenleben stellt. Es heißt – da sind wir uns sicher – eine Rückkehr in die gleiche Welt der Barbarei, die jetzt wegen Corona stillsteht.

Wir wollen nicht in diese Welt zurück. Wir sind es Leid 40, 50, 60 Stunden pro Woche für den perversen Reichtum unserer Chefs zu schuften. Wir sind es Leid, dass in unserem Namen Menschen an den europäischen Außengrenzen in Lagern eingepfercht und wie Tiere behandelt werden. Wir sind es Leid, dass in unserem Namen Kriege auf der ganzen Welt geführt werden und wir sind es Leid, eure Fußabtreter zu sein. Ihr, die ihr jetzt schon wieder in den Talkshows darüber nachdenkt, ob denn Menschenleben wirklich so viel mehr Wert sind als eine gesunde Wirtschaft. Aber vor allem anderen sind wir mehr als ihr und wir sind nicht auf euch angewiesen. Ihr lebt von unserer Arbeit und wir haben es satt!

In diesem Sinne ist der diesjährige erste Mai für uns ein Tag, an dem wir all die vermeintlich kleinen Taten des Alltags feiern, die diese Zeit überhaupt erträglich machen. Ein Feiertag für alle, die ob mit oder ohne Krise den Laden am Laufen halten und die, wenn das Virus aus den Schlagzeilen verschwunden ist, die Milliarden erwirtschaften werden müssen, die jetzt an die Konzerne verschenkt werden. In dem gleichen Sinne ist der erste Mai für uns ein Kampftag, eine Kampfansage an all jene, die schon viel zu lange von unserer Arbeit leben. Eure Tage sind gezählt!
Ihr habt nichts als Leid und Elend über diesen Planeten gebracht. Eine menschliche, solidarische Gesellschaft funktioniert nur ohne euch und wir werden alles dafür tun, diese zu erkämpfen!

Es lebe der revolutionäre erste Mai!