#besetzen

Liebe Leute hinter dem Hashtag, liebe Besetzer_innen und Unterstützende,

danke für eure klug überlegten, wichtigen Aktionen von vergangenem Sonntag. Auch wenn die Häuser letzten Endes nicht zu halten waren – ihr habt eine nicht nur deutschlandweite, sondern internationale Debatte um Leerstand, Verdrängung und Gentrifizerung ausgelöst, und, noch wichtiger, gezeigt, dass Selbstorganisierung die einzig richtige Antwort ist und obendrein auch noch funktioniert.

Hat man die Chance genutzt und im Umfeld der Besetzungen mit Anwohnenden und Vorbeilaufenden gesprochen, ergab sich das Bild, dass der größte Teil der Leute viel Verständnis für die Form eurer Aktion und sehr, sehr viel Unverständnis und Wut über die Wohnungspolitik Berlins und die Mechanismen des sogenannten freien Marktes mit sich tragen. Und sie haben Recht: wie kann es denn sein, dass einen Steinwurf von der Thomashöhe entfernt, in einer Gegend, in der Leute massenhaft aus ihren Wohnungen gekehrt werden um diese zum doppelten Preis neu vermieten zu können, 40 Wohnungen seit mehreren Jahren leer stehen? Wie kann es sein, dass in der Reichenberger Straße, die neuerdings viel Platz zu haben scheint für hippe Bars und den riesigen Konzern Google, mindestens ein Ladengebäude ebenfalls seit Jahren leer steht? Wie kann es sein, dass Bullen, Politik und Eigentümer_innen es mit aller Gewalt verhindern, dass dieser Laden mit Leben gefüllt wird? Mit Leben gefüllt wird von den Leuten übrigens, die letztes Jahr nach Jahren lebendiger, selbstverwalteter Nachbarschaftspolitik aus ihren Räumen in der Friedelstraße 54 gejagt wurden, die bis heute ungenutzt vor sich hinvegetieren.

Die Antwort ist relativ einfach. Es ist profitabler für Eigentümer_innen, Häuser jahrelang leer stehen zu lassen, statt sie ihrem Zweck zurückzuführen – der Nutzung durch Menschen. Dass auf der anderen Seite Zehntausende in dieser Stadt kein Obdach haben, dass am Tag 20 Zwangsräumungen allein in Berlin stattfinden, ist ihnen und anderen skrupellosen Schreibtischtäter_innen offenbar ziemlich scheißegal. Und ebenso der rot-rot-grünen Regierung: Gerade Leute, die noch irgendeine Form von Hoffnung vor allem in die Partei DIE LINKE gesetzt haben mögen, wurden an diesem Sonntag aufs Neue enttäuscht. Ingo Malter, Geschäftsführer der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“, denen das kurzzeitig besetzte Haus in der Bornholmer Straße gehört, bot an die Entscheidung, ob die Leute rausgeräumt werden, an die Politik zu übertragen – die aber die Verantwortung von sich wies. Und Berlin wird nunmal unter anderem von der Partei DIE LINKE, die mit sozialen Slogans und hohlen Phrasen wie „Die Stadt gehört euch“ auf Wähler_innenfang geht, regiert. Es waren also letztendlich auch sie, die die die brutale Räumung mitzuverantworten haben.

Auf den bitteren Zynismus dieser Partei, die die Unverfrorenheit besaß, eine Stellungnahme herauszutwittern, die das Anliegen der Besetzer_innen als „richtig“ befand, brauchen wir an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. Nur noch eine Sache, um ihre Lügen zu verdeutlichen: das Haus wurde unter dem Vorwand geräumt, es sei „statisch gefährdet“, und man könne die „Sicherheit“ der sich darin befindenden Personen nicht gewährleisten, außerdem sei das auch der Grund für den jahrelangen Leerstand. Was aber ist mit den Nachbar_innen, die seit Jahren den rechten Seitenflügel desselben (!) Hauses bewohnen? Müssen wir das Problem mit der Statik so verstehen, dass es jederzeit passieren könnte, dass auf magische Weise die linke Seite des Hauses umkippt, während die rechte Seite fröhlich und „sicher“ und bewohnt vor sich hinsteht? Und wie könnt ihr von Besorgnis um Sicherheit sprechen, wenn ihr Hunde und nicht weniger abgerichtete Arschlöcher losschickt, Jagd auf Menschen zu machen und sie physisch wie psychisch anzugehen?

Apropos: ihr, liebe Besetzer_innen, musstet an diesem Sonntag Schikanen und Gewalt vonseiten der Bullen, die mit einer Hundestaffel das Gebäude stürmten, ertragen. Wir hoffen von Herzen, dass es euch allen gut geht. Redet über eure Erfahrungen mit euren Freund_innen und Genoss_innen, passt aufeinander auf und lasst euch nicht unterkriegen. Ihr seid nicht allein, und wir senden euch an dieser Stelle unsere Liebe und Solidarität, die so viel stärker wiegen und so viel schöner und wichtiger sind als ihr Hass und ihr Gehorsam.

Desweiteren sagen wir: das Problem heißt Eigentum und Kapitalismus. Es darf nicht sein, dass Wohnraum eine Ware ist, die irendwelchen Leuten gehören darf – Leute, die mit diesem Wohnraum, der so dringend benötigt wird, auch noch spekulieren, um noch reicher zu werden als sie es eh schon sind. Das Problem sind außerhalb Regierungen, die uns unsere Mündigkeit absprechen und die Fähigkeit, über uns selbst zu entscheiden. Regierungen, die dem Kapitalismus unterworfen sind und in dessen Interesse handeln statt im Interesse derer, die sie meinen unterwerfen zu können.

Aber: diese Annahme ist falsch. An Aktionen wie denen am Sonntag können wir sehen, dass es immer und überall Menschen gibt und geben wird, die sich weigern, sich zu unterwerfen, die bereit sind, ihre Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen und die aufhören, auf andere zu hoffen. Wir können uns vorstellen, wieviel Organisation, Sorgfalt und Arbeit in dieses Projekt geflossen ist, und diese Arbeit war in keinem Fall umsonst. Der Schlüssel zu unserer aller Freiheit ist Selbstorganisierung und das Bewusstsein darüber, dass wir die Dinge, die uns betreffen, selber entscheiden können – und das in dieser Konsequenz auch tun. Ihr habt genau das gemacht, und ihr habt anderen Leuten aufgezeigt, dass es möglich ist, sich selber zu ermächtigen. Und weiter: nicht nur, dass es möglich, sondern dass es nötig ist, denn keine Partei wird unsere Interessen durchsetzen, kein_e Politker_in uns unterstützen, kein_e Polizist_in unsere Rechte umsetzen und verteidigen. Deswegen: vernetzen wir uns, bilden wir Kiezkommunen, sprechen wir darüber, wie wir unsere Entscheidungen selbst treffen und in die Tat umsetzen, unterstützen wir uns gegenseitig, verteidigen wir uns und unsere Rechte selbst.

Solidarische Grüße und bis bald,

eure Kiezkommune