Die Kommune – war das nicht so Hippiezeugs?
Mit unserer Namensgebung als „Kiezkommune“ auf Verwirrung. Das liegt daran, dass im deutschen Kontext der Begriff der „Kommune“ vor allem mit der „Kommune I“ verbunden wird, einem Wohnprojekt Ende der 60er Jahre in erlin. Dieses wurde aus der damaligen Studentenbewegung heraus mit der Intention gegründet, Alternativen zur bürgerlichen Kleinfamilie aufzuzeigen und ein kollektives Leben zu führen. Weiter gab und gibt es auf vielen Teilen dieser Erde Kommunenbewegungen, die zumeist versuchen, neben dem Kapitalismus alternative Lebensmodelle zu praktizieren.
Wir allerdings beziehen uns auf revolutionäre Bestrebungen nach Selbstverwaltung, und wir wollen nicht neben dem Kapitalismus koexistieren, sondern ihn überwinden – in unseren Kiezen, in der Stadt, auf der Welt. Die „Kommune“ damit eine kleine Einheit innerhalb einer Gesellschaft, zum Beispiel ein Häuserblock, ein Dorf oder ein Stadtteil, die sich kollektiv selbstverwaltet, mit anderen Kommunen vernetzt ist und so gesellschaftliche Belange regelt.
Zum Begriff der Kommune
Kommunen gab es schon im Mittelalter und bezeichneten politische Korporationen, die Teile der Rechte von Landsherren auf einen gewählten Stadtrat übertrug. So trugen diese Kommunen zu einer (partiellen) Autonomie der Städte bei und hatten einen erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung dessen, was wir heute als „Stadt“ verstehen. Auch heute noch ist von Kommunalverwaltung, einen Teil der öffentlichen Verwaltung darstellt und mit der Lösung lokaler Fragen betraut ist.
Mit unserer Namensgebung beziehen wir uns allerdings nicht auf die öffentliche, staatliche Verwaltung, sondern auf revolutionäre Bestrebungen nach Selbstverwaltung. Prominentestes Beispiel einer solchen Revolution, den Begriff der Kommune im Namen trägt, ist d Pariser Commune. Diese bezeichnet einen vom 18. März bis 28. Mai 1871 bestehenden revolutionären Stadtrat, der die proletarische Selbstverwaltung von Paris ausrief.
Frankreich in dieser Zeit von Aufbruch und Revolution, unter anderem bedingt durch Kriege und deren Folgen, die Ideen der Aufklärung sowie der Veränderung der Gesellschaft durch die fortschreitende Industrialisierung und der einhergehenden Entstehung eines Proletariats.
Nach der französischen Revolution 1789 und verschiedenen Machtwechseln befand sich Paris 1870 unter Belagerung deutscher Truppen. Der Alltag der Stadt war geprägt von Hungersnot und Krieg trotz dieser Bedingungen existierte eine aktive ariser Sektion organisierter Arbeiter_innen in der Ersten Internationalen, in der Stadt existierte ein reges politisches Treiben Demonstrationen, Kundgebungen und politische Diskussionsveranstaltungen fanden regelmäßig statt.
Nachdem Frankreich Anfang 1871 zur Unzufriedenheit vieler Französ_innen kapitulierte, gründete sich eine Übergangsregierung, die in Bordeaux residierte. In Paris entstand unterdessen ein Machtvakuum ie Nationalversammlung in Bordeaux, die Generäle verachtet, es gab keine anwesende Regierung und keine Polizei ie Stadt war nahezu unabhängig. Auch die vornehmlich aus Arbeitern zusammengesetzte Pariser Nationalgarde ergriff diese Unabhängigkeit und beschloss, ihre Offiziere nunmehr selbst zu wählen und einen Soldatenrat zu gründen: das Zentralkommittee der Nationalgarde von Paris.
Aus Angst vor dieser neuen politischen und bewaffneten Kraft beschloss die Nationalversammlung, die Nationalgarde unter einem Vorwand zu entwaffnen. Am 17. März 1871 marschierten regierungstreue Truppen in Paris ein, um den Beschluss der bürgerlichen Regierung durchzusetzen. Vor Ort sahen sie sich jedoch erheblichem Widerstand gegen die Entwaffnung ausgesetzt: m Morgengrauen wurden die einmarschierenden Truppen von Frauen, die bereits auf den Beinen waren, um Nahrungsmittel zu organisieren. Sie stellten sich vor und setzten sich auf die Kanonen, die eingezogen werden sollten, und verweigerten ihre Herausgabe.
Dreimal gab der zuständige General den Schießbefehl. Die Regierungstreuen, umringt von Frauen und Kindern, verweigerten, nahmen ihren General gefangen und erschossen ihn noch am selben Tag.
Im Namen des Volkes, die Kommune ist proklamiert
Diese Ereignisse führten zum offenen Aufstand. Das Rathaus und die Polizeipräfektur wurden von Revolutionär_innen besetzt, die ommune ausgerufen. Das Zentralkommittee übernahm zunächst die provisorische Führung, verstand sich jedoch lediglich als Übergangslösung hin zur rätedemokratischen Organisierung der Stadt.
So wurde am 28. der Rat der ommune, bestehend aus 85 Menschen, gewählt darunter mehr als 50 Prozent Arbeiter_innen.
ie Pariser Commune das erste Beispiel der Geschichte einer proletarischen Revolution dar. Das Beamtentum wurde aufgelöst und durch Kommissionen des Rates ersetzt, die Staatsbürokratie gebrochen.
Zentrales Bestreben der ommune lag in sozialen Reformen, Trennung des Gemeinwesens und der Kirche und vor allem in ihrer Selbstverwaltung und Unabhängigkeit vom Staat aufbauend auf einem rätedemokratischen Prinzip.
Zunächst wurden Dekrete verabschiedet: ällige Mietzahlungen wurden entlassen und die Versteigerung nicht eingelöster Pfände eingestellt.
Weiter gab es die Forderung nach Abschaffung der Miete, Abschaffung von Geldstrafen in Form von Abzügen vom Gehalt, Abschaffung der Nachtarbeit in Bäckereien. Das Kircheneigentum wurde beschlagnahmt, die allgemeine Schulpflicht eingeführt.
„Ich bin ein Anhänger der Commune von Paris, die, niedergemetzelt, in Blut erstickt von den Henkern der monarchischen und klerikalen Reaktion, dadurch nur lebendiger und machtvoller wurde in der Vorstellung und dem Herz des europäischen Proletariats; ich bin ihr Anhänger vor allem, weil sie eine kühne, sehr ausgesprochene Verneinung des Staates war.“
– Michael Bakunin
Der Alltag der Stadt veränderte sich radikal; auf den Straßen wurden politische Fragen diskutiert und debattiert, Krankenhäuser, Schulen und die Verteilung von Lebensmitteln wurden gemeinschaftlich organisiert.
Zeug_innen dieser Zeit der ommune berichten von einem anderen Pariss war eine einzige Fete auf den Straßen“. Es gab keine Bullen, keine Richter_innen und kaum Verbrechen. Und das ist nicht verwunderlich: enn alle Menschen an der Gestaltung ihres Lebens und ihrer Umwelt aktiv partizipieren können, wenn die Macht nicht in den Händen Einzelner, sondern in den Händen aller liegt, entsteht daraus erstens ein Verantwortungsgefühl der oder des Einzelnen für das Kollektiv. Zweitens ergeben viele der Delikte, die in einer kapitalistischen, auf Eigentum beruhenden Gesellschaft begangen werden. Warum sollte ich stehlen, wenn es mir zum Leben reicht?
Nicht alle Vorhaben der ommune konnten in ihrem 72-tägigen Bestehen umgesetzt werdenoch wurde in allen Bereichen Schritte in deren Richtung gegangen. Dazu zählte die Selbstbewaffnung und Selbstverwaltung von Arbeiter_innenkollektiven, die in einer föderativen Struktur selbst einen Rat wählten, dessen Deligierte in öffentlichen Angelegenheiten beruten. Die kollektive Aneingnung von Produktionsmitteln stand auf dem Programm, zum Teil wurden in der eit der ommune bereits verlassene Fabriken von Kooperationen wieder in Betrieb genommen.
Feministische Organisierung im Rahmen der Pariser Commune
Bereits ab dem Jahre 1868 und der damaligen Auflösung des Versammlungsverbotes begannen Frauen, öffentlich Versammlungen und Diskussionsveranstaltungen abzuhalten. Vor allem aber mit der Belagerung Paris begannen sie, sich untereinander zu organisieren: urch den Versorgungsnotstand entwickelten sich Nachbarschaftsorganisationen und Kooperative, bei denen Frauen eine wichtige Rolle spielten. So wurde schon in Zeiten vor der ommune die Basis für die Organisierung geschaffen.
Auch gegen den Widerstand einiger männlicher Genossen gründeten sich Frauenkollektive und Widerstandskommittees, die politische und strategische Fragen diskutierten, Frauenversammlungen zählten mehrere hundert Teilnehmerinnen. Im Mittelpunkt dieser Organisierung stand die Forderung nach gleichen Rechten, Lohn und Arbeit. So beteiligten sich auch Frauen aktiv an der Verteidigung der ommune: unter Einsatz ihres Lebens um die Verwundeten auf dem Schlachtfeld, viele griffen aber auch selbst zu den Waffen. Zuletzt wurde ein eigener Frauenrat zur Verteidigung von Paris gegründet. In den letzten Tagen stand auf Plakaten der Union Des Femmes zu lesen:
„Die Frauen von Paris werden Frankreich und der ganzen Welt beweisen, dass sie auch im Augenblick der größten Gefahr auf den Barrikaden und Stadtmauern stehen werden und zusammen mit ihren Brüdern ihr Leben geben werden, um die Tore der Stadt und die Kommune vor den reaktionären Kräften zu verteidigen.“
Die ommune von Paris bestand 72 Tage und endete in einem blutigen Massaker, als französische Regierungstruppen in die Stadt eindrangen. Der Kampf dauerte Tage, 30.000 Menschen fielen auf den Barrikaden für die Verteidigung der Revolution.
„Nous sommes battus, mais non vaincus.“
Wir sind geschlagen, aber nicht besiegt.
– Nathalie Lemel, Kommunardin von Paris
Diese Menschen ließen ihr Leben für den Traum von Selbstverwaltung und Freiheit wie Millionen anderer auf der Welt, die für denselben Traum kämpften. Bezeichnend ist, dass die meisten Beispiele in der Geschichte des Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung nicht etwa an sich selbst zugrunde gingen, sondern nur durch das unbarmherzige, todbringende Eingreifen reaktionärer Kräfte zerschlagen werden konnte.
Das Streben nach Freiheit
Der Kampf um Befreiung ist keine Erfindung der Kommunard_innen von Paris und endet auch nicht mit dem Blutbad Mai 1871. Seit jeher kämpfen Unterdrückte um ihr Recht auf Selbstbestimmung und Freiheitereits 73 erhoben sich Sklav_innen in Rom gegen ihre Herrscher, heute bekannt als Spartacus-Aufstand. Auch in der jüngsten Geschichte gab und gibt es weltweit A und Revolutionen gegen Unterdrückung.
Nach Ende des rsten Weltkrieges bildeten sich in Deutschland, Österreich und Ungarn nach Vorbild der 1917 Arbeiter- und Soldatenräte mit revolutionärem Bestreben. So wurde zunächst im November 1918 in Kiel, im Frühjahr 1919 in Bayern, Bremen, Mannheim und Braunschweig nach dem Vorbild der Pariser Commune Räterepublik ausgerufen. Sie alle wurden militärisch zerschlagen.
Spanien: on 1936 bis 1939 waren Teile des Landes, unter anderem auch die Hauptstadt Barcelona, anarchistisch organisiert. Land und Fabriken wurden kollektiviert, Arbeiter_innenräte gegründet, das gesamte Leben kollektiv organisiert. Auch hier lähmte diese Selbstverwaltung nicht etwa das öffentliche Lebenm Gegenteil ie wirtschaftliche Produktion des Landes trotz permanentem Kriegszustand erheblich gesteigert und die öffentlichen Belange verliefen zumeist reibungsloser als zuvor. Es entstanden selbstorganisierte Theater und Lesungen, das kulturelle Leben erblühte. Auch diese gelebte Selbstverwaltung konnte nur militärisch zerschlagen werden, und zwar durch den Einmarsch des Faschisten Franco, spätere Diktator Spaniens.
Auch heute führen Millionen Menschen den Kampf um Selbstbestimmung auf allen Teilen dieser Erde. In Zentralamerika etwa existiert eine autonome Region in den renzen Mexikos, die von den Zapatistas verwaltet wird. Am 1.1994 erlebte die Region Chiapas eine indigene Revolution: ie EZLN, die zapatistische Befreiungsarmee, besetzte die Regierungssitze von Städten im Bundesstaat Chiapas und enteignete große Ländereien, um sie für die Kollektivwirtschaft nutzbar zu machen. Ihre Forderungen: Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Unabhängigkeit, Land, Arbeit, Gesundheit, Bildung und Frieden.
Die Zapatistas organisieren ihre Verwaltung, ihre Bildung und Gesundheit, Rechtsprechung und Ökologie selbst, basisdemokratisch nach einem Deligiertensystem. Es gibt zapatistische Schulen, Krankenhäuser und Gesundheitszentren, in denen auch ausgebildet wird. Es haben sich Wirtschaftskollektive gebildet, die Im Zuge der Selbstverwaltung dieser zapatistischen Gemeinden ist die Sterblichkeitsrate durch Krankheiten deutlich gesunken, dBildung gestiegen und Frauen haben mehr Rechte und partizipieren aktiv an der Gesellschaft.
Im Osten findet eine Revolution statt. Kurdische Revolutionär_innen errichten in Rojava eine neue Form von Gesellschaft, basierend auf dem Prinzip des demokratischen Konföderalismus. Umgeben von ihnen feindlich gesinnten Kräften wie der Türkei und dem und damit einhergehenden schaffen sie es dennoch, anSelbstverwaltung und Autonomie , Kooperative aufzubauen und Bildung zu betreiben. Neben der demokratisch-konföderalistischen Organisierung die Befreiung der Frau und die Fragen nach Ökonomie und Ökologie zentrale chwerpunkte. 2017 wurde die „Internationalist Commune of Rojava“ gegründet, ein Projekt, dass es Internationalist_innen ermöglicht, aktiv an der kurdischen Revolution wird gelernt, diskutiert und Struktur aufgebaut; derzeitige Projekte sind der Aufbau einer internationalistischen Akademie und die Kampagne „Make Rojava green again“.
Was wir an all diesen Beispielen sehen können ist, dass es Bestrebungen nach Autonomie und Selbstverwaltung, nach Freiheit und Gleichheit gab und gibtder neoliberalen Verwertungslogik und de fremdbestimmten Leben. Und: Selbstverwaltung funktioniert, befördert Kultur und Wirtschaft, das soziale Miteinander und das
Wir sehen uns in der Tradition dieser aller Revolutionär_innen und sagen: asst uns an diese Kämpfe anknüpfen. Lasst uns hier und heute beginnen, uns zunächst im Kleinen, in unseren Kiezen, zu organisieren. Lasst uns diskutieren, wie wir uns eine neue, bessere Gesellschaft vorstellenasst uns gemeinsam Widerstand leisten gegen Unfreiheit und Unterdrückun gegen Zwangsräumung und Verdrängung, gegen Lohnarbeit und Ausbeutung, gegen Schikanen der Polizei und des Staates.
Wir wollen keine Reformen, keine Appelle an Staat und Politik, wir wollen die Revolution. Und auch wenn die vielleicht zunächst in unerreichbarer Ferne zu liegen scheint: rgendwo müssen wir anfangen.
„Llevamos un mundo nuevo en nuestros corazones; y ese mundo está creciendo en este instante.“
Wir tragen eine neue Welt in unseren Herzen; diese Welt wächst in dieser Sekunde.
– Buenaventura Durruti, Anarchist im spanischen Bürgerkrieg