Unser Genosse John Malamatinas von Berlin vs. Amazon hat vor kurzem Netzpolitik.org ein gutes Interview geben und über die Kampange und die aktuellen Entwicklungen an der Warschauerstr. gesprochen.
– Von Felix Richter / Netzpolitik.org/ 16.01.2020 –
Berlin vs. Amazon
Widerstand gegen „Silicon Görli“
Amazon möchte 2023 in Berlin mit 3.400 Mitarbeitenden eines der größten Hochhäuser der Hauptstadt beziehen. Dagegen regt sich allerdings Widerstand. Wir haben mit der Kampagne „Berlin vs. Amazon“ über die möglichen Folgen einer Ansiedlung des Tech-Giganten gesprochen.
Die Kampagne Berlin vs. Amazon will verhindern, dass Amazon ein neues Hochhaus in Friedrichshain-Kreuzberg bezieht. Hinter dem Zusammenschluss steckt eine bunte Mischung aus Aktivist:innen, lokalen Gruppen, Tech-Arbeiter:innen und Künstler:innen. Sie befürchtet eine weitere Verschärfung auf dem ohnehin angespannten Berliner Wohnungsmarkt durch den Zuzug von finanzkräftigen Amazon-Angestellten und damit einhergehend ein Ende der vielfältigen Kiezkultur in den angrenzenden Bezirken.
Direkt an der Warschauer Straße will Amazon bis 2023 in einem der höchsten Gebäude der Stadt auf 28 von 35 Stockwerken mit 3.400 Angestellten ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aufbauen. Bislang beschäftigt Amazon knapp 1.000 Personen in diesem Bereich. Sie sollen dort künftig unter anderem mit Volkswagen weiter an der Entwicklung einer „Industrial Cloud“ arbeiten und Amazons Cloud-Computing-Sparte Amazon Web Services weiter ausbauen.
Kann Amazon ein guter Nachbar sein?
Wir haben mit John Malamatinas von Berlin vs. Amazon über die Gründe für die Kampagne, welche Menschen sie erreichen wollen und ihre Pläne für 2020 gesprochen.
netzpolitik.org: Wer ist Berlin vs. Amazon?
John Malamatinas: Das ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Aktivist:innen, Anwohner:innen und Künstler:innen. Da sind verschiedene Gruppen am Start, zum Beispiel Make Amazon Pay. Die Initiative beschäftigt sich schon seit etwa zwei, drei Jahren mit Amazon, vor allem mit den Arbeitskämpfen. Außerdem sind auch Menschen von verschiedenen Stadtteilinitiativen dabei, zum Beispiel Bizim Kiez oder Leute aus dem RAW-Gelände.
Eine wichtige Gruppe, die noch dabei ist, ist die Tech Workers Coalition Berlin. Das ist inspiriert von Kämpfen in den USA. Dabei organisieren sich Leute, die in Tech-Unternehmen arbeiten, etwa Software-Entwickler:innen. Wir sind also ein recht bunter Haufen, das macht auch unsere Stärke aus. Wir würden uns wünschen, dass in Zukunft noch Leute aus den Fulfillment Centern [Anm.d.Red.: so nennt Amazon seine Warenlager] von Amazon dazustoßen, beispielsweise aus Brieselang. Wir stehen auch in Kontakt mit Menschen und Initiativen aus anderen Städten.
netzpolitik.org: Warum wollt ihr verhindern, dass Amazon in den Turm an der Warschauer Straße zieht?
John Malamatinas: Man muss sich jeden Mieter ansehen, der da einziehen möchte, ähnliches müsste also auch für Zalando oder Google gelten. Mit Amazon gibt es halt Erfahrungen aus anderen Städten wie aus Seattle, wo das erste Hauptquartier von Amazon steht. Dort ist durch Studien bewiesen, was für Belastungen es für das soziale Netz gibt. Die Menschen dort leiden unter Verdrängung und müssen Platz machen für die Software-Entwickler:innen. Die Mieten steigen, Obdachlosigkeit steigt. Darunter leiden die lokalen Communities, vor allem auch migrantische Communities.
In New York gab es ähnliche Proteste gegen ein geplantes Zentrum von Amazon, da hat sich die Firma dann auch zurückgezogen. Aktuell versuchen sie es nochmal in Manhattan, davor wollten sie nach Queens. Die Befürchtungen damals waren die selben, die wir jetzt für Friedrichshain-Kreuzberg haben: Es ist eine extreme Belastung für den Kiez und die Gentrifizierung wird beschleunigt, wie es auch in den letzten Jahren schon passiert ist. Die Mieten steigen ja eh schon. Dasselbe ist im Silicon Valley in San Francisco bereits passiert. Wir sind uns ziemlich sicher, dass das hier die gleichen Effekte haben wird.
Es gibt aber auch noch andere Gründe gegen Amazon vorzugehen. Warum kann sich ein Unternehmen hier breit machen, das sich nicht sonderlich für Arbeitnehmerrechte interessiert? Es gibt außerdem Kritik an der Kooperation von Amazon mit staatlichen Behörden in den USA, wo das Unternehmen Software zur Gesichtserkennung bereitstellt und mit [Anm. d. Red.: der umstrittenen Polizei- und Zollbehörde] ICE zusammenarbeitet.
Insgesamt kritisieren wir aber auch den digitalen Kapitalismus als solchen und das Verhältnis zur Stadt. Was passiert eigentlich in Berlin in der Zukunft? Die herumliegenden E-Roller, das Geräusch von Rollkoffern und Läden für Yuppie-Bedarf jeder Art sind die Vorzeichen dieses Umbaus und der Vertreibung. Amazon ist bereits mit mehreren Zentren hier und baut auch sonst immer mehr Infrastruktur im öffentlichen Raum aus. Wenn das Unternehmen sich einfach immer weiter ausbreiten kann, wird darunter der Einzelhandel immer stärker leiden. Das sind zwar eher Seitenthemen, die wir aber auch besprechen und im Blick haben.
Viel Steuereinnahmen sind nicht zu erwarten
netzpolitik.org: Könnte die Ansiedlung nicht auch positive Aspekte haben? Berlin ist ja bekanntermaßen chronisch pleite.
John Malamatinas: Das stimmt, da werden natürlich viele Arbeitsplätze entstehen, aber es ist die Frage für wen. Das sind eher nicht meine Nachbarn, sondern hochspezialisierte Leute, die von außen in die Stadt kommen. Berlin ist eine attraktive Stadt und es wird von Seiten der Politik immer hochgehalten, dass es ein Mekka der Innovation werden soll.
Da fallen Namen wie Zalando, Google oder jetzt Tesla in Brandenburg. Die zahlen allerdings mehrheitlich kaum Steuern in Deutschland, Amazons Zentrale ist meines Wissens nach beispielsweise in Luxemburg. Wir kritisieren in dem Zusammenhang, dass Amazon steuerflüchtig ist. Wir glauben deswegen nicht, dass durch eine Ansiedlung Amazons sehr viel Steuergeld in Berlin hängen bleiben wird.
netzpolitik.org: Wen wollt ihr mit eurer Kampagne ansprechen?
John Malamatinas: Wir wollen zum einen alle Bürger:innen, Anwohner:innen und Nachbar:innen ansprechen und animieren. Wir wollen Kiezkultur verteidigen, linke Aktivist:innen mit ins Boot holen und neue Partner im Kampf dazu gewinnen, wie etwa die Initiative Kein Haus weniger. Wir wollen darüber hinaus nicht nur die Tech-Worker:innen motivieren, sondern vor allem auch die Menschen aus den Fulfillment Centern. Das ist ein gemeinsamer Kampf. Wir wollen Amazon zeigen, dass sie hier nicht einfach machen können, was sie wollen.
Uns scheint es teilweise eine heuchlerische Debatte zu sein, wenn einerseits der Mietendeckel beschlossen wird und die Linkspartei Wahlwerbung macht mit Slogans wie „Die Stadt gehört euch“, aber gleichzeitig dem technologischen Großkapital die Tür offen gehalten wird. Das Projekt von EDGE und Amazon in Berlin ist ein Schlag ins Gesicht von all jenen, die sich in den letzten Monaten und Jahren für niedrigere Mieten, (Re-)Kommunalisierung oder eine offene Stadt für alle eingesetzt haben.
Die Mietbremse ist super, aber wenn gleichzeitig Firmen kommen, die dafür garantieren, dass die Mieten steigen, dann ist das ein Widerspruch. Die Leute, die kommen, wollen nicht außerhalb des S-Bahnrings wohnen, sondern in Kreuzberg oder Friedrichshain. Wir denken, dass es sich deswegen lohnt, für unsere Kiezkultur und eine offene Stadt für alle zu kämpfen.
Software-Entwickler:innen aus dem Turm ins Boot holen
netzpolitik.org: Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Berlin Tech Workers Coalition aus? Was erhofft ihr euch davon?
John Malamatinas: Berlin vs. Amazon ist kein klassisches Bündnis in dem Sinne, sondern ein Zusammenschluss mehrerer Initiativen, und die Berlin Tech Workers Coalition ist ein Teil davon. Wir wollen so auch Menschen ansprechen, die bei Amazon arbeiten. Wir werden beispielsweise im Juni beim Amazon Web Service Summit (AWS Summit) aufschlagen, wo wir einerseits versuchen werden für Öffentlichkeit zu sorgen und andererseits Menschen anzusprechen, die in der Software-Arbeitskette ganz unten stehen. Teilweise bestehen auch schon einzelne Kontakte.
netzpolitik.org: Was habt ihr für 2020 geplant?
John Malamatinas: Wir haben das Jahr mit einer Kundgebung zur Weihnachtszeit beendet, wo wir die Anwohner:innen informiert haben. Wir planen zusammen mit der Kiezkommune und bedrohten Hausprojekten in den nächsten Wochen eine Demonstration in Friedrichshain zum Thema „Verteidigung der Kiezkultur“.
Es sind Workshops geplant, bei denen wir mit anderen Menschen lernen wollen, wie man sich als Gemeinschaft im Kiez organisieren kann. Wir wollen auch noch mehr mit dem Einzelhandel ins Gespräch kommen. Am 28.03. ist auch noch der europäische Aktionstag gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn, da diskutieren wir gerade noch, ob wir uns daran beteiligen.
Es steht vieles an und ich glaube, die Kampagne wird einen langen Atem haben. Es ist sehr inspirierend zu sehen, wie viele Menschen sich gerade engagieren. Wir hoffen bis 2023, wenn Amazon in den Turm einziehen soll, eine breite Front aufgebaut zu haben. Wir haben ja erst im Oktober letzten Jahres angefangen und seitdem werden die Treffen immer größer. Außerdem gibt es noch das Anti-Amazon-Café, was eher auf face-to-face Organisation setzt oder die Kiezkommune Friedrichshain die u.a. kritische Stadtteilspaziergänge organisiert. Es schließen sich gerade verschiedene Kreise zusammen, was der Sache eine spannende Dynamik gibt.