Bericht zur Kundgebung am 2. Mai „Kampftag der Arbeitslosen“

Den Aufruf findet ihr hier in Deutsch und hier auf Englisch und Türkisch.

Am zweiten Mai kamen 70 Nachbar*innen und Mitstreiter*innen verschiedener lokaler Initiativen, um mit uns gemeinsam für die Rechte von Erwerbslosen, sowie für eine progressive Zukunftsvision fernab vom Zwang der Lohnarbeit einzutreten.

Redebeiträge gab es von:

der Berliner Obdachlosenhilfe (BOH), Hände Weg vom Wedding, der BASTA! Erwerbsloseninitiative, Migrantifa, Deutsche Wohnen & Co. Enteignen, der Feministischen und Queeren Stadtteilinitiative Wedding (FUQS), sowie einem Nachbarn und Künstler aus den bedrohten Uferhallen nebenan.

Zuletzt gab es einen gemeinsamen Beitrag der Frauen*kommune und Kiezkommune Wedding, sowie ein kleines Konzert mit der Band LEOPARD, von denen Mitglieder im Projekt KALIBANI Kindern und Jugendlichen in der Buttmannstraße kostenlosen Musikunterricht geben und gemeinsam musizieren.

Wir haben für euch einige Auszüge aus den Redebeiträgen zusammengestellt:

„Die Berliner Obdachlosenhilfe besteht aus mehr als 100 ehrenamtlichen Helfer*innen. Seit 2013 machen wir viermal in der Woche Hilfstouren in Berlin, um Wohnungslose oder Menschen in prekären Situationen mit Essen, Kleidung, Schlafsäcken und Hygieneartikeln zu versorgen. Mit unserem Stammtisch gegen das Patriarchat wollen wir innerhalb der Berliner Obdachlosenhilfe einen Schutzraum für alle bieten, die durch das Patriarchat unterdrückt werden. Wir setzen uns für einen diskriminierungs- und herrschaftsfreien Raum ein. (…) Es kotzt uns an zu wissen, dass wir durch unsere Arbeit die Lücken des Staates auffüllen und ihm dadurch einen Gefallen tun. Aber nur diese neoliberale Regierung kann das ertragen, Menschen den Kopf unter Wasser zu halten. Unser Engagement bedeutet auch: Leerstand zu Wohnraum, kostenloser Nahverkehr und Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe. Wir versuchen jeden Tag einen Austauschraum zu gestalten, der Menschen empowert und zum Widerstand aufrufen kann. (…)
Für uns ist Arbeit mehr als nur Lohnarbeit. Unsere Definition von Arbeit basiert auf Freiwilligkeit. Wir wollen nicht aus Not und Überlebenszwang arbeiten, sondern aus freien Stücken! Wir wollen uns für die Dinge engagieren, die uns am Herzen liegen. Und wie man an der Berliner Obdachlosenhilfe sieht – Freiwilligkeit funktioniert!“

– Stammtisch gegen das Patriarchat der Berliner Obdachlosenhilfe

„Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängig sind, sollen durch die Herrschenden gespalten werden. Das geschieht anhand verschiedener Linien. Anhand des Geschlechtes oder der sexuellen Identität, anhand von Herkunft oder Aussehen, oder eben anhand der sozialen Lage und der Frage, ob mensch Arbeit hat oder nicht. Und es muss unsere Aufgabe sein, diese Spaltung zu überwinden und unsere gemeinsamen Interessen zu artikulieren und unsere Forderungen durchzusetzen. (…) Die Springer-Presse und Politiker*innen wie Friedrich Merz reden seit Jahren mit Vorliebe über angeblich faule Erwerbslose, und tragen zu ihrer Stigmatisierung bei. Aber wir wissen es besser: wir wissen, dass Arbeit häufig unbezahlt und im Verborgenen stattfindet. Arbeit ist es, sich um seine Kinder zu kümmern, den Haushalt zu schmeißen oder ältere Angehörige zu pflegen. Es ist Arbeit, eine Jugendgruppe im Sportverein zu trainieren, und es ist Arbeit emotional für Menschen da zu sein, denen es gerade nicht gut geht. All das ist Arbeit, all das ist unbezahlt und all das trägt mehr zu unserer Gesellschaft bei als irgendein Job bei einer Großbank oder einem Automobil-Konzern. (…) Auf die patriarchale Dimension der Abwertung von sogenannter Care-Arbeit können wir garnicht oft genug hinweisen. Auch hier sagen wir: lasst uns gemeinsam kämpfen und die Spaltung entlang der uns zugeordneten Geschlechterrollen überwinden!“

– Hände weg vom Wedding

„Leuten mit deutschem Pass wird Hartz-IV, das Existenzminimum, mit Hilfe von Kontrollen, Sanktionen, Verschleppung der Antragsbearbeitung und fehlerhaften Bescheiden gekürzt. Vielleicht wisst ihr es nicht: Aber nicht alle Menschen die hier leben haben einen Rechtsanspruch auf Hartz-IV, Sozialhilfe, Krankenversicherung oder Kindergeld. EU-Bürger*innen, die alleine zum Zwecke der Arbeitssuche aufenthalts-berechtigt sind, sind häufig gänzlich von Arbeitslosengeld II und seit 2013 auch von Sozialhilfe ausgeschlossen.
Die Grundsicherung ist gewollte und systematische Unterversorgung. Mit Hilfe von Hartz-IV werden Löhne gesenkt und der Arbeitsmarkt lässt Scheinselbstständigkeit, Werkverträge, Entsendung durch Subunternehmen, Leiharbeit und Minijobs in großem Umfang zu. All diese Vertragsformen fördern Armut und wir pendeln zwischen Lohnarbeit, Arbeitslosengeld und Jobcentermaßnahmen oder werden in die Rente abgeschoben. (…)
Ohne die Arbeit von Migrant*innen wäre es vorbei mit billigem Fleisch von Tönnies, mit billigem Obst und Gemüse aus Brandenburg. In Deutschland würde kein Auto mehr vom Band rollen. Großbauprojekte würden länger dauern und teurer werden. Fabriken, Büros und Privathäuser blieben schmutzig. Viele Alte und Kranke hätten keine Rund-um-die-Uhr-Pflege mehr ohne die enorme Arbeitsüberlastung und sklavenähnlichen Bedingungen von Frauen aus Polen, Slowakei, Rumänien. Nur ihrer Überausbeutung wegen, kann das stationäre Pflegesystem für ältere Leute völlig unterfinanziert bleiben. Auch die Brief- und Paketbranche von Hermes, DPD und DHL boomen dank ausbeuterischer Bedingungen der Arbeiter*innen aus Osteuropa. Diese Arbeiten in Betriebsdiktaturen sind oft die gefährlichsten und unbeliebtesten Arbeiten, also schlecht für die Gesundheit. Was wir eigentlich bräuchten ist, das Ende krankmachender Bedingungen im Produktionsprozess und während der Arbeitslosigkeit, sowie ein Ende der rassistischen Diskriminierung am Ort der Arbeit.“

– BASTA! Erwerbsloseninitiative

„Lohnarbeitszwang, Mietmarkt, Umweltabfuck – um nur wenige Beispiele zu nennen – machen uns krank und unglücklich. Dass derzeit Löhne sinken während Preise steigen, dass sterbende Branchen es noch schwieriger machen, an beschissene Jobs zu kommen und dass ein zunehmend privatisiertes Gesundheitssystem nicht in der Lage ist, eine
flächendeckende, dem Stand von Wissenschaft und Technik  angemessene Versorgung sicherzustellen, verschärft nur Probleme, die schon viel früher anfangen und ohne die eine kapitalistische Klassengesellschaft auch schlicht nicht zu haben ist. (…) Migrant*innen, Kanackisierte, Rassifizierte Menschen sind in Sachen Arbeitslosigkeit wie so oft noch mehr von den kapitalistischen Ausschlüssen betroffen, als die selbsternannte Mehrheitsgesellschaft.
Wo erwerbslose weiße Deutsche bereits in unerträglichem Maße verhöhnt, beschämt, sanktioniert und gegängelt werden, werden Ausländer*innen (oder wer dafür gehalten wird) zudem kriminalisiert und rassistisch stigmatisiert. Zudem kommen Sprachbarrieren, Aufenthaltstitel, die an Arbeitsverhältnisse geknüpft sind oder auch Ansprüche auf Sozialleistungen, die einfach gleich eingeschränkt oder ganz vorenthalten werden.
Man kann es nicht anders als zynisch bezeichnen:
Die rassistischen Zustände haben doch überhaupt nur die Funktion, uns in schlechter- oder gleich unbezahlte Arbeitsverhältnisse zu zwingen. Ein Blick in den Niedriglohnsektor genügt, um das zu bestätigen. Doch wenn das Kapital in der Krise ist, oder aus anderen Gründen auf Arbeitskraft aka Lohnkosten verzichtet werden kann, sind migrantische und migrantisierte Menschen gemeinsam mit Frauen* die ersten, die vor der Tür sitzen.“

– Migrantifa Berlin

„Jeder Mensch, egal ob wir erwerbstätig sind oder nicht, hat das Recht, würdevoll behandelt zu werden. Dazu gehört das Recht auf eine bezahlbare Wohnung. Dazu gehört das Recht, dass diese Wohnung von der Gesellschaft bezahlt wird, wenn man selbst nicht in der Lage dazu ist. Keiner von uns weiß, wann er oder sie auf Hilfe angewiesen sein wird, deshalb brauchen wir als Gesellschaft diesen festen Boden aus Anstand und Fürsorge füreinander. Wir müssen Wohnen neu denken! (…)
Berlin verfügt über 1,9 Millionen Wohnungen. Ungefähr 240.000 Wohnungen davon gehören großen, internationalen Immobilienkonzernen: Deutsche Wohnen, Vonovia, Akelius, Covivio, Heimstaden, usw… Diese Firmen machen mit überteuerten Mieten Gewinne in einer Höhe, die völlig entkoppelt ist von unserer Realität. Sie spekulieren mit den Profiten am internationalen Aktienmarkt, wo darauf gewettet wird, ob der Wert unserer Wohnungen weiter steigt. Unsere Wohnungen sind deren Spekulationskapital.
Wir wollen diese Konzerne enteignen! Wir wollen uns die Stadt zurückholen!
Deutsche Wohnen Enteignen kämpft dafür, die Wohnungen aller profitorientierten Immobilienfirmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, zu vergesellschaften, in eine gemeinnützige Anstalt öffentlichen Rechts zu überführen und demokratisch zu verwalten. Denn die Stadt, das sind wir. Wir sind dieser Kiez, wir sind die Leute, die hier durch die Straßen laufen, die Häuser bewohnen, den Kiez beleben. Die Kieze gehören uns! Unabhängig davon, ob wir gerade eine Arbeit haben, oder nicht.“

– Deutsche Wohnen & Co. Enteignen

„Viele Studien zeigen, dass durch die Corona-Krise bestehende Ungleichheiten noch weiter verschärft wurden: Während große Konzerne wie google und amazon im Pandemiejahr 2020 besonders hohe Gewinne gemacht haben, haben Hunderttausende Menschen in Deutschland ihre Arbeit, ihre Existenz oder ihre Zukunftsperspektive verloren. Diese Not trifft besonders diejenigen, die auch vor Corona schon benachteiligt waren: Frauen, trans*, inter* und nicht-binäre Personen, Migrant*innen und Geflüchtete, sowie chronisch Kranke und Menschen mit Behinderungen. (…) Besonders schlimm ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt für trans*Menschen und nicht-binäre Personen, die sich nicht als männlich oder weiblich identifizieren. Fast die Hälfte aller trans*Personen ist in Deutschland arbeitslos, und 1/3 davon geben an, ihre Arbeit wegen transfeindlicher Diskriminierung verloren zu haben. (…) Wer den eigenen Geschlechtseintrag ändern lassen will, muss in vielfacher Hinsicht ständige Erklärungen gegenüber Ärzt:innen, Psycholog:innen und gerichtlichen Gutachter:innen über sich ergehen lassen. Die finanziellen Kosten liegen zwischen 1000 und 3000€ und das Verfahren zur
Personenstandsänderung dauert in Deutschland mindestens 1 Jahr – eine lange Zeit, in der trans*Personen gezwungen sind, entweder ihr trans*-Sein zu verbergen, sofern ihnen das möglich ist, oder gegenüber Arbeitgeber:innen und Kolleg:innen ihr trans*-Sein fortwährend zu erklären. Selbstbestimmung sieht anders aus.“

– Feministische und Queere Stadtteilinitiative Wedding

„Tausende Menschen haben sich im Wedding seit Ausbruch der Pandemie arbeitslos gemeldet. Im Wedding, wo schon vor der Krise hohe Zahlen an Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit, sowie Kinder- und Altersarmut für viele unserer Nachbar:innen nicht nur Statistiken sind, sondern Lebensrealität. (…) Leiharbeit, Niedriglöhne, Hartz-IV, Schulabbruch, steigende Mieten: an den vielen Problemen wird sich auch nach der Pandemie nichts ändern, wenn wir es nicht einfordern! (…)
Existenzängste und Vereinzelung sind Folgen zunehmend prekärer Lebensumstände und einer verfehlten Wohnpolitik, die sich nicht an den Bedürfnissen einer breiten Gesellschaft orientiert. Für uns als Leistungsbezieher:innen ist gesellschaftlicher Ausschluss schon seit langem bittere Realität. (…) Jeder Stellenabbau von Großunternehmen, jede Zwangsräumung, jede Abschiebung ist ein Angriff auf uns als Erwerbslose und prekär Beschäftigte, ein Angriff auf unsere Klasse!
Was wir brauchen, sind nicht nur bessere Arbeitsbedingungen oder mehr Geld in der Tasche. Wir brauchen kollektive Lösungen für Probleme, die uns als Gemeinschaft betreffen. Die Voraussetzungen dafür, dem Zwang der Lohnarbeit, Misswirtschaft und staatlicher Kontrolle etwas entgegensetzen zu können, schaffen wir nur selbst. Schließt euch uns als Frauen*kommune und Kiezkommune in Wedding an, für den Aufbau von kommunaler Gegenmacht und praktischer Solidarität in unseren Kiezen.“

– Frauen*kommune & Kiezkommune Wedding

LEOPARD – Logik, Logik!