[Wandzeitung gegen Feminizide Teil 1] Ein Interview mit Ni Una Menos Berlin

Wie hat sich eure Bewegung, die sich vorallem gegen Feminizide richtet, in Argentinien und Deutschland entwickelt?

In Argentinien gewann die feministische Bewegung ab 2015 nach dem ersten Ni Una Menos-Marsch mehr Sichtbarkeit. Von diesem Moment an erreichte die feministische Strömung alle Bereiche des Landes, die Medien und jedes Haus. Feminizide und der Mangel an Reaktion seitens des Staates wurden offensichtlich. Viele Frauen begannen sich von da an der feministischen Bewegung anzuschließen und aktiv daran teilzunehmen, und es bildeten sich große Netzwerke zur Unterstützung, Begleitung und Betreuung von Opfern und Überlebenden von geschlechtsspezifischer Gewalt.

In Deutschland gründeten wir uns nach dem Frauenmord an Lucía Pérez in Mar del Plata, Argentinien. Ni Una Menos hatte zu einem nationalen Streik aufgerufen. Wir waren hier, weit weg, isoliert, verletzt. Also organisierten wir eine Talk-Debatte in Solidarität mit dem Streik. Etwa 70 Personen nahmen daran teil. Daraus entstand die Gruppe, die unter dem Namen „A Room of One’s Own“ weiterarbeiten wollte. Bei einem der ersten Treffen kam die Idee auf, den Namen zu ändern. Im November hatten wir Kontakt mit der Alliance of Feminist Internationalists und traten dem ersten 25. November (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen) bei.
Mit der Zeit, viel Arbeit, viel persönlichem, aber auch gemeinsamem Wachstum, begannen wir, unsere Identität als Gruppe zu formen, und wir lernten andere feministische Gruppen kennen. Einen besonderen Platz nehmen andere migrantische feministische Frauenkollektiven ein, insbesondere spanisch- und portugiesischsprachige, mit denen wir in verschiedenen Projekten Seite an Seite gearbeitet haben.
Es gibt auch Verbindungen zu einigen feministischen Gruppen in unseren Heimatländern und auch zu anderen Ni Una Menos-Gruppen in Europa.

Welche Unterschiede gibt es zwischen Deutschland und Argentinien?

Während in Argentinien die Bewegung von Journalisten mit großer Medienpräsenz „gestartet“ wurde, waren wir hier in Berlin zu Beginn eine Gruppe von Künstlern: Die Arbeit für Ni una menos war immer eine zusätzliche Aufgabe zu unserer ursprünglichen Arbeit.

Einer der großen Unterschiede ist die Art und Weise, wie Gewalt gegen Frauen in beiden Gesellschaften gesehen wird. In Lateinamerika wird eher anerkannt, dass dieses Problem existiert und dass es sehr ernst ist, was aber nicht bedeutet, dass es so bekämpft wird, wie es sein sollte. In Argentinien (wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern wie Mexiko oder Chile) gab es bereits mehrere Bewegungen und Frauenbündnisse. Deshalb konnte man auf das Thema Feminizide leichter in der Gesellschaft aufmerksam machen.
In Deutschland und generell in Europa wird die Dimension des Problems nicht erkannt. Seit unseren Anfängen im Jahr 2016 haben wir versucht, das Thema Feminizid auf die Tagesordnung zu setzen. Erst im letzten Jahr hat sich in Berlin ein Netzwerk zu diesem Thema gebildet.
Zudem gibt es oft die Vorstellung in Deutschland und Europa, dass es ein Problem anderer „rückständiger“ Länder ist oder dass es ein Problem ist, das durch Migration und insbesondere Flüchtlinge nach Deutschland gekommen ist. Diese Art von Argumenten ist recht weit verbreitet, insbesondere von rechtsextremen Gruppen, die Gewalt gegen Frauen instrumentalisieren, um eine fremdenfeindliche und nationalistische Politik zu fördern, die Migration kriminalisiert und zu stoppen versucht.

Andererseits ist ein wichtiger Unterschied, dass in Argentinien wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern Aktivismus noch stärker kriminalisiert wird als in Deutschland. Es ist auch gefährlicher, viele Menschenrechtsverteidigerinnen in verschiedenen Bereichen sind verschwunden oder wurden getötet, weil sie die Sache verteidigt haben. In diesem Sinne müssen wir anerkennen, dass, obwohl es hier ein ernstes Problem mit Rassismus sowohl in der Gesellschaft als auch in den Institutionen gibt und wir auch Schikanen und Diskriminierung durch die Polizei bei Demonstrationen und durch einige Leute auf der Straße erlitten haben, die Risiken nicht so hoch sind wie in Lateinamerika.

Was die Meinung und Reaktion der Gesellschaft angeht, so glauben wir, dass es einige Ähnlichkeiten gibt, was die konservativeren Sektoren der Gesellschaft angeht, die so genannten „Pro-Life“-Gruppen zum Beispiel und die rechten politischen Parteien, die feministische Gruppen als eine Bedrohung für die traditionellen und patriarchalen Werte sehen, die sie verkörpern und verteidigen. Solche Positionen sind in der Gesellschaft immer noch ziemlich verankert.

Im Gegensatz zu Argentinien werden Frauenmorde hier, wie bereits erwähnt, immer noch nicht als Verbrechen gegen Frauen eingestuft oder anerkannt. Von Ni Una Menos und zusammen mit anderen Gruppen fördern wir eine Kampagne, um dieses Problem in Deutschland sichtbar zu machen.

Das Interview führte die Kommission gegen Gewalt gegen Frauen der Frauen*Kommune Wedding